Burg Binsfeld - Die Schmuckfußböden

Während der archäologischen Untersuchung auf dem Gelände der Burg Binsfeld im Sommer 1992 konnte aus verschiedenen Befundzusammenhängen eine ungewöhnlich große Anzahl von glasierten Tonfliesen und -bruchstücken geborgen werden, die hier gesondert betrachtet werden sollen. Die Bodenfliesen, die ausschließlich im Bereich des ehemaligen Osttraktes und des Turmes zum Vorschein kamen, bieten die Möglichkeit, einen Eindruck von der Innenraumgestaltung der mittelalterlichen bis renaissancezeitlichen Hauptburg zu gewinnen. Da originale Schmuckfußböden mittelalterlicher Profanbau- ten im Rheinland nur in wenigen Fällen bis in unsere Zeit erhalten sind, bilden die Binsfelder Tonfliesen eine der seltenen Gelegenheiten, ein Schmucksystem zu rekonstruieren.

Fußböden haben in den Räumen, in denen sie verlegt wurden, seit jeher nicht nur eine praktische Funktion, sie sind über diese hinaus auch ein wesentliches Gestaltungselement, das im Laufe der Jahrhunderte stilistischen Wandlungen unterworfen war. Die Schmuckfußböden in profanen und sakralen Räumen Deutschlands und Frankreichs bestanden vom 14. bis zum 16. Jahrhundert in der Mehrzahl aus Tonfliesen. H. Kier stellte 1970 fest, daß in Deutschland neben einigen wenigen glatten fast ausnahmslos ornamentierte Fliesen Verwendung fanden, deren Musterung erhaben oder vertieft in den feuchten Ton gepreßt wurde.

Im Bereich der Binsfelder Burg konnten sowohl glatte als auch ornamentierte glasierte Tonfliesen unterschiedlichen Formats geborgen werden. Den größten Anteil – ca. 80% – aus einer Gesamtzahl von fast 400 Fliesen und – bruchstücken bildeten grün glasierte Fliesen mit erhabenem Dekor in gotischen Formen (Abb. 107). Der Scherben dieser 13,5 cm x 13,5 cm großen Bodenfliesen besteht aus rötlichem, gelb gebändertem Ton. Einzelne Stücke weisen sehr starke Abnutzungsspuren auf: die Glasur und die erhabene Ornamentik sind bei ihnen abgerieben und der rötliche Ton wird sichtbar. Die Schmuckwirkung dieses Bodenbelages wurde durch die grüne Glasur und die raffiniert entworfene Ornamentik erreicht.

H. Kier unterschied bei den Flächenmusterböden zwei Gruppen: Böden deren Verzierungsschema auf einem Quadratraster basieren und Böden mit Kreisornamenten. Kreise als geometrische Grundformen sind zur Gestaltung einer Bodenfläche hervorragend geeignet und bieten eine Vielzahl von komplizierten Variationsmöglichkeiten.

Rekonstruiert man den einen Fußboden, den unsere Binsfelder Bodenfliesen gebildet haben, zeigt sich, daß der Künstler sein Konzept aus der Ornamentform des Kreises heraus entwikkelt hat. Die Hauptornamente auf jeweils vier der quadratischen Fliesen bilden zusammen einen Kreis. Auf jeder einzelnen Fliese sind jedoch zwei Viertelkreisbögen Abb.107: Tonfliese Typ 1dargestellt, die auf der einzelnen Fliese diagonal eine spitzovale Form bilden und in der Gesamtfläche den Eindruck sich wechelseitig durchdringender Kreise hervorrufen. Auf den jeweils beiden anderen sich gegenüberliegenden Ecken ist zusätzlich ein florales, blütenartiges Ornament dargestellt, das im Gesamtbild mit den jeweils anstoßenden Fliesenecken ein größeres vierteiliges Pflanzenornament bildet. Ein so gestalteter Bodenbelag erscheint nun einerseits harmonisch abgeschlossen, ist gleichzeitig aber auch unendlich erweiterbar (Abb. 107). Das hier angewendete geometrische Grundmuster sich überschneidender Kreise war ein Motiv, das auch bei gotischem Maßwerk angewendet wurde.

Abb.107; Grün glasierte Tonfliesen (Typ 1) und Rekonstruktion des Schmuckfußbodens von N. Bartz, 1992

Musterrekonstruktion Typ 1

Der eben beschriebene Binsfelder Schmuckfußboden kann keinem Gebäude oder Raum der Hauptburg aus der Befundsituation heraus zugeschrieben werden. Die Fliesen waren mehrfach verlagert in meterdicken Schuttpaketen bis in den unteren östlichen Burggraben hinein anzutreffen. Die große Anzahl Fliesen, die relativ großflächige Kreisornamentik und die Qualität dieses Bodenbelages lassen jedoch auf einen größeren, repräsentativen Raum der Hauptburg schließen. Es kann sich um einen Raum des gegen Ende des 16. Jahrhunderts zerstörten Osttraktes handeln, in dessen räumlicher Nähe die Funde auftraten, oder um einen Raum des Herrenhauses, dessen Bauschutt beim Umbau 1533 hier abgekippt sein worden sein kann.

Ausschließlich aus dem Innenraum des Turmfundamentes stammt ein anderer Fliesentyp: er ist dunkelbraun glasiert, glatt und mit 11,5 cm Kantenlänge etwas kleiner. Aufgrund der Befundlage kann er einem Raum des Turmes zugeordnet werden.

Abb.106: Tonfliese Typ2Nur ein kleiner Bruchteil der gefundenen glasierten Tonfliesen in Binsfeld repräsentiert einen dritten Typ, der aufgrund seiner Ornamente ebenso wie die grün glasierten Fliesen zeitlich in die gotische Bauphase eingestuft werden kann (Abb. 108). Es handelt sich hierbei um gelb und dunkelbraun glasierte, quadratische Fliesen mit 11 cm Kantenlänge und eingestempelten, vertieften Kreisbogenornamenten, die jeweils aus einem Band mit vier parallel laufenden Linien gebildet werden. Auf jeder Fliese sind jedoch nicht nur zwei, sondern vier sich überschneidende Viertelbögen dargestellt. Die dabei entstehenden Zwickel zwischen den Kreisbögen sind mit stilisierten gotischen Blattornamenten ausgefüllt. Die Mitte ziert eine sechsblättrige stilisierte Blüte. Im Gegensatz zum Typ 1 fallen hier die scharf geschnittenen Konturen des Ornamentes auf.

Musterrekonstruktion Typ 2

Bei einer Rekon-struktion dieses Schmuckfußbo-dens ergibt sich eine im Ver-gleich zu Typ 1 stark verdichtete Kreisbogenkompo-sition. Die Fläche zeigt ein harmonisches Schwingen von sich überlagernden Kreisen; auch hier es möglich, das Ornament unendlich zu wiederholen (Abb. 108). Es ist nicht möglich, diesen Schmuckfußboden einem bestimmten Raum zuzuordnen. Da die Fundmenge im Vergleich zu den grün glasierten Fliesen wesentlich geringer ist, kann man schließen, daß dieser Fußboden in einem kleineren Raum verlegt war. Dafür spricht auch die sehr dichte Kreisornamentik, die konzeptionell eher für kleinere Flächen angelegt scheint.

Abb.108; Gelb und braun glasierte Tonfliesen (Typ 3) und Rekonstruktion des Schmuckfußbodens von N. Bartz, 1992

Karin Drechsel, 1992, veröffentlicht in: Archäologie im Rheinland 1992, Seiten 123-125





O. JONES, Grammatik der Ornamentik, London 1868; Nachdruck Nör dlingen 1987
H. KIER, Der mittelalterliche Schmuckfußboden, Düsseldorf 1970
F. S. MEYER, Handbuch der Ornamentik, Leipzig 1927
R. WIHR, Fußböden, Callwey 1966