ASIATISCHE MINIATUREN
Hanoi
eine der schönsten Städte Asiens

Man vergleicht die geographische S-Form Vietnams oft mit zwei Reisschalen an einer Tragestange. Im Norden liegt das Mündungsgebiet des Roten Flusses mit der tausendjährigen Hauptstadt Hanoi, im Süden das Mekong-Delta mit Saigon, offiziell noch Ho-Chi-Minh-City, einer früheren Hauptstadt des Landes.

        Ganz anders als das quirlige Saigon erscheint die Hauptstadt Hanoi konservativ, würdig, sauber und gepflegt. Hanoi ist eine der schönsten Städte Asiens mit erlesener Bausubstanz im Kolonialstil in einer Landschaft, die schon Tausende von Jahren vor unserer Zeitrechnung bewohnt war. Besonders reizvoll ist die Altstadt im Schachbrettmuster mit ihren 36 Gassen, deren Namen bis heute auf die darin konzentrierten Berufsgruppen und gehandelten Waren hindeuten, von der Bambusleiter-Gasse bis zur Straße der Gewürze, von der Fischgasse bis zur Straße der Hutmacher. Schildkrötenturm, Jadeberg-Tempel, Ein-Pfahl-Pagode, Literaturtempel, Brunnen des Himmlischen Lichts, Goldener-Lotus-Pagode und Tempel der knienden Elefanten erzählen viele kleine Geschichten aus der großen Geschichte des Landes.

        Dabei wird in Reiseführern meist der konfuzianische Literaturtempel hervorgehoben. Ebenso reizvoll, stiller und zudem romantischer sind die drei am und im Westsee gelegenen Taoistischen und Buddhistischen Tempel mit exquisiten Holzschnitzereien.
Interessante Ausflüge führen zu weiteren Pagoden, zu Bergstämmen und zur berühmten Halong-Bucht mit den verkarsteten Bergkuppeln des "Herabsteigenden Drachens". Der Sage nach hat sich nämlich während der zahllosen Kriege der Geschichte gegen die Chinesen in einer aussichtslosen Situation ein Drache vor die Bucht gelegt und sie vor Angriffen geschützt. Seine Rückenflossen versteinerten zu den Bergrücken. Da der Rote Fluß durch seine Ablagerungen das Meer bis zu einem Meter pro Jahr zurückdrängt, hat sich über die Jahrtausende auch eine "Trockene Halong-Bucht" gebildet.

        Zahllose Geschäfte in den Hauptstraßen stellen eine Spezialität des Landes und besonders der Hauptstadt aus: Hinreissende Lack-Arbeiten. Im Gegensatz zur chinesischen und japanischen Lack-Kunst, bei denen - wenn überhaupt - eine Bemalung meist nur auf der zweitobersten Lackschicht erfolgt ("en surface"), arbeiten Vietnamesen häufig "en profondeur". Auf einer unteren Lackschicht wird die erste Farbe des Bildes aufgetragen. Diese wird farblos überlackiert. Auf die neue Lackschicht wird die zweite Farbe gemalt usw. Die Farben bleiben getrennt, können also nicht ineinander laufen. Allerdings muß der Künstler sein gesamtes Bild ständig im Geist vor Augen haben. Spätere Korrekturen sind nicht mehr möglich. Nicht nur Farben, sondern auch Perlmutt, Goldblättchen, weiße, gelbe, braune Eierschalen, grob oder fein gebrochen, gelegentlich sogar zermahlen, werden in mittlere Lackschichten eingebettet und anschließend überlackiert. All das ermöglicht reiche Effekte.
Besonders reizvoll sind farbige Motive, die nicht mit farblosem, sondern mit schwarzem Lack überzogen werden. Menschen und Tiere erscheinen dadurch zuweilen weit entfernt, manchmal wie von Dunkelheit umfangen. Fische wirken, als ob sie tief unten im blauen Meer schwebten.

        Saigon und Hanoi - der Vergleich zu ähnlichen Gegensätzen zwischen der Händlerstadt Kanton und dem "preußischen" Peking drängt sich auf. Die Zukunft gehört vermutlich Saigon, aber in ihr wird es wohl nicht mehr den Vietnamesen gehören.

Klaus G. Müller, 2002



 

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